Wohlgemeint, doch auch wohlgetan? - Beitrag von Bertrand Stern


Wohlgemeint, doch auch wohlgetan? 

Seltsam, wie oft ich bereits nach meiner Mitwirkung bei der „Global Home Education Conference“ in Berlin gefragt wurde! Frage ich hierauf zurück, weshalb ich da mitwirken soll, ernte ich erstaunte Blicke: Hast du dich nicht genau für diese Belange eingesetzt? Angesichts solch gravierender Mißverständnisse will ich versuchen darzustellen, warum diese Conference mir höchst problematisch erscheint und weshalb ich logischerweise nicht dabei bin. 

1. Allgemein:

Es stimmt, daß ich mich seit Jahrzehnten für einen radikalen Ausbruch aus der Verschulungsideologie und aus dem Schulanwesenheitszwang einsetze. Sicher wollen „homeschooler“ dies auch. Aber: Mir geht es um den Respekt vor der Person, vor ihrer Selbstbestimmtheit, ihrer Würde, ihrer Kompetenz, ihrer Autonomie. Dies bedingt auch einen Ausbruch aus der gefährlichen Illusion eines minderjährigen Menschen, der zum Erziehungsobjekt („Zögling“), zum „Kind“ gemacht werden könne und solle. Geht es ihnen, den „homeschoolern“, nicht vornehmlich um das Vorrecht einer Privatisierung der Beschulung, damit das schutz- und erziehungsbedürftige Kind in der Familie vor den negativen Einflüssen einer bösen Gesellschaft und ihrer Schule bewahrt werde? damit das Kind statt in der Schule als (H)Ort der Gewalt und der sexistischen Exzesse in der heilen Welt der Familie groß werde? damit dem teuflischen Darwinismus der göttlich begründete Kreationismus begegne? Kurz: geht es ihnen nicht um eine bessere Erziehung? Und um eine bessere „Schule“ (homeschooling!)?

2. Ideologisch-religiös:

Weil die Institution Schule – unabhängig von allen darin wohlmeinend tätigen Akteuren – eine zumeist subtile, sanktionierte, systematische Beleidigung der zum Schüler erniedrigten Person darstellt, gilt es, andere Gestaltungen zu finden. Dies könnten auch sog. „homeschooler“ wollen. Aber: Mir geht es um die bedingungslose Subjekthaftigkeit des frei sich bildenden Menschen, der von seinem ersten Atemzug an bis zu seinem letzten Tag auf der Erde sich selbst, die Welt, das Wissen entdecken, erkunden, erforschen will; dieses Recht, frei sich zu bilden, ist ein sowohl persönlicher, autonomer wie soziokulturell und ökologisch eingebetteter Prozeß. Doch ihnen, den „homeschoolern“, vor allem den aus den USA kommenden fanatisch-religiösen Eroberern, geht es um die Erfüllung einer missionarischen Aufgabe: Dem in den Abgrund führenden demokratischen Modernismus müsse begegnet werden mit (erz-)konservativen Werten, die in einer – reaktionären, zweifelhaften! – Deutung biblischer Aussagen wurzeln. Könnte ihr Anspruch auf eine gar monopolistische Auslegung der Bibel nicht auch für Christen dramatisch sein, deren „jesuanisches Bekenntnis“ eine weniger dogmatische, kanonische, kirchlich-institutionelle Gläubigkeit, aber mehr Menschlichkeit bedingt? Was heißt hier „christlich“?

3. Die mögliche öffentliche Wahrnehmung:

Sollten die Öffentlichkeit und vor allem die Medien und die Politik die „Global Home Education Conference“ überhaupt wahrnehmen und kommentieren, befürchte ich, daß diese Initiative gefährlich und kontraproduktiv wirkt. Um mit Privatpersonen zu beginnen: Stellen wir uns nun vor, nach einem aufreibenden Arbeitstag wird die/der alleinerziehende Mutter/Vater, abends vor der Glotze hockend, hören, da verlangen „neue Pädagogen“, die Tochter oder der Sohn solle daheim mit Mutter und/oder Vater sich bilden können und dürfen... Nee! Der tägliche Schulbesuch erfordert schon viel Opfer, da wird die/der liebende Mutter/Vater kaum bereit sein zu imaginieren, die/der geliebte Tochter/Sohn könne daheim bleiben...

Die Schulideologen wiederum werden behaupten, die wichtigste Aufgabe der staatlich gelenkten „demokratischen Schulpflicht“ sei es, die Gleichheit aller Kinder zu sichern. Zwar stellte dieses Plädoyer für das staatliche Schulsystem eine Illusion oder Lüge dar, doch wer näher analysiert, was die aus den USA kommenden, religiös-missionarischen „homeschooler“ vertreten, könnte zu dramatischen Schlußfolgerungen neigen: Es ist leider nicht von der Hand zu weisen, daß diesem „homeschooling“ die Gefahr von kommunitaristischen Bestrebungen innewohnt, also der Bildung von allerlei – elitären? – Gruppierungen, Sekten usw. Da das dieser Conference zugrundeliegende Gedankengut als unvereinbar mit den in Deutschland postulierten freiheitlich-demokratischen Prinzipien ist, befürchte ich in einer Welt, die immer mehr mit pauschalen Bildern und – von Medien kolportierten – (Fehl-)Meinungen operiert, daß diese Conference, falls sie öffentlichkeitswirksam ist, großen Schaden anrichtet: Werden Schulkritiker von nun an pauschal mit „homeschoolern“ verwechselt? Könnte die gesäte Angst vor religiösen Fanatikern dazu führen, daß die Ablehnung von Schulkritik der Stärkung des zwar maroden, aber mit letzter Gewalt kämpfenden zivilisatorischen Systems dient?

Ich befürchte jedoch auch eine formale Konsequenz: Nachdem einige Familien bisher vergebens versucht haben, mit einem erzwungenen höchstrichterlichen Urteil eine familiäre Beschulung neben der staatlich reglementierten Schule genehmigt zu bekommen, und nachdem einige Familien sogar ins Ausland flüchten mußten, um der deutschen Zwangsbeschulung zu entkommen – wobei diese bedauerliche Flucht allerdings ein Hinweis auf den verkehrten, in eine Sackgasse mündenden Ansatz sein
könnte! – sollte uns eben die Sackgasse der familiären Beschulung dazu veranlassen, die Position zu ändern – statt „mehr desselben!“ zu riskieren. Ich behaupte, daß nur mit radikal menschenrechtlich Positionen es – hoffentlich bald! – gelingen wird, die Institution Schule als widersinniges Relikt aus einer vorgestrigen Welt zu überwinden.

Schließlich ein Beispiel für das Kontraproduktive: In den letzten Jahren haben einige in den Medien sehr präsente „homeschoolende Familien“ vielleicht der Frage der Bildungsfreiheit mehr geschadet als gedient: Jeder juristische Mißerfolg trug nämlich dazu bei, daß nun alle Richter in Deutschland klar Bescheid wissen... Mit einem seltsamen Ergebnis: Mochte es hierzulande einige „geduldete“ Schulverweigerer geben – übrigens ist deren Zahl nicht zu erfahren, sie wird wie ein Tabu gehütet! –, so müssen auch sie jetzt fürchten, daß ihre normen- und gesetzeswidrige Einstellung und Position jäh unterbunden wird. Werden es die Veranstalter der Conference als Erfolg verbuchen, daß sie, statt ein wichtiges Ansinnen voranzubringen und Öffentlichkeit und Politik positiv zu sensibilisieren, eben das Gegenteil erreichen könnten!

4. Wer? Was? Warum?

Der Wahrheit bin ich es geschuldet: Auf die berechtigte Kritik am geplanten Kongreß und auf das sich bei einigen Interessenten abzeichnende Unbehagen reagierten die Veranstalter mit der (Schutz-)Behauptung, die Conference allen Schulkritikern zu öffnen. Alle? Nachdem ich einen der Organisatoren anschrieb, um auf die negativen Konsequenzen in Deutschland hinzuweisen (übrigens: auf meine zwei ersten Schreiben bekam ich eine höfliche Antwort; mein drittes, etwas präziseres Schreiben blieb unbeantwortet), hätten die Veranstalter um mich wissen und mich ansprechen können... Merkwürdig: von den mir bekannten innovativen Denkern anderer Bildungskonzepte wüßte ich keinen, der eingeladen worden wäre – doch mag dies selbstverständlich nur einem seltsamen Zufall geschuldet sein...

Ich wünschte mir, das selbstverständliche Recht des Menschen, frei sich zu bilden, sei der Ansatz einer radikalen Ausbruchsdynamik. Dieser wirklich umwerfenden Energie schenke ich in einer Zeit des unübersehbaren zivilisatorischen Kollapses eher Chancen: Freiheit bedeutet nicht, ein Zwangssystem durch ein anderes auszutauschen, sondern nunmal aus ihm auszubrechen – des Lebens, des Menschen, auch der Bildung wegen.

Bertrand Stern

2 Kommentare:

  1. Ich füge dem von Bertrand erwähnten "Zufall" noch einen weiteren hinzu, nämlich den, daß nirgendwo auf den GHEC-Seiten die UN-Kinderrechtskonvention erwähnt wird? ... und das obwohl die "grundlegenden Menschenrechte" angesprochen werden, nämlich die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, der Internationale Pakt über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte für die Vereinten Nationen sowie der Internationale Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte."
    Ist das echt nur Vergeßlichkeit? Ich komme auf Grund aller anderen Aussagen auf den GHEC-Seiten zu dem Schluß, daß man die UN-Kinderrechtskonvention sehr bewußt nicht nennt! Warum nicht?

    fragt Jürgen

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  2. Hallo Jürgen,

    Nein, das ist weder Vergeßlichkeit noch Zufall. Einige der Mitglieder der Organisationskomitees und einige weitere Teilnehmer der Konferenz haben sich bei anderen Gelegenheiten ausdrücklich gegen die UN-Kinderrechtskonvention ausgesprochen und diese abgelehnt. Z.B. wehrt sich HSLDA ausdrücklich dagegen, dass die USA die Konvention unterzeichen (was sie bisher noch nicht getan haben).

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