Samstag, 29. Dezember 2012

...denn wir wissen, was wir tun...

Halleluja, die GHEC ist vorbei! Welche Erinnerung mag geweckt werden, wenn sie im Nachhinein erwähnt wird? Nun, manche Menschen werden sie bereits im Vorfeld als Hoffnungsträger behalten; andere werden sich an den großen Wirbel erinnern, an den diese Initiative gebunden war. Ohne dies zu beurteilen zu haben, will ich als kritischer Beobachter der GHEC und auf der Grundlage meiner gewonnenen Erfahrungen im Nachhinein einige Anmerkungen anbringen. Mir scheint, daß nicht allein die offene Frage berührt wird: was soll und kann nun in Deutschland geschehen im Zusammenhang mit dem selbstverständlichen Recht der Person, frei sich zu bilden? Ich denke, daß über die ethische Fragestellung hinaus auch die Wesenheit dieses Blogs erörtert werden darf!

Vorab: Weder fühle ich mich dazu berufen noch sehe ich mandatiert, die Autorinnen und Autoren der Beiträge dieses Blogs zu vertreten, gar zu verteidigen. Aus meiner langjährigen Erfahrung will ich aber das Besondere, ja die Ausnahmeerscheinung dieser Plattform hervorheben, auf welcher kritische Analysen und Ausführungen publiziert wurden, die ansonsten kaum thematisiert werden: Ist es nicht bedauerlich, wie oft in einer schnellebigen Welt soviel schlicht nur deshalb unhinterfragt hingenommen wird, weil es auf Anhieb nett „klingt“? Gewiß handelt es sich bei den zwischengenerationellen Beziehungen und insbesondere bei den spannungsreichen Problemen der – sowohl staatlichen wie familiär aufgezwungenen – Beschulung um einen hochsensiblen Bereich! Ob nun die hier vorgebrachten Ausführungen, so manche Positionen und viele Antworten wirklich (und wirkend!) für Klarheit zu sorgen vermochten? Oder kann es sein, daß trotz der hier gebotenen größten Vorsicht die Ausführungen im Gegenteil zu einer Verunsicherung führten? Kurz: ob sich jemand angeregt und angesprochen gefühlt – oder sich eher aufgeregt hat, ist eine Frage, die jeder Mensch für sich beantworten möge, wobei eben diese Antwort folgenreich ist!


Diese Plattform hat viel Zustimmung gefunden: zahlreiche Menschen aus den verschiedensten Bereichen haben außerhalb der Blog-Kommentare Freude und Dankbarkeit gezeigt. Insofern sollte die unübersehbare Empörung über die hier vorgetragene GHEC-Kritik nicht zur Schlußfolgerung verleiten, den Blog-Autorinnen und Autoren sei nur ein eisiger Wind entgegengeweht. Angesichts der zustimmenden Meinungen wäre es naheliegend, jene kritischen Stimmen schlicht zu ignorieren und sich damit zu beweihräuchern, daß ihre Heftigkeit geradezu die Triftigkeit der Ausführungen bestätigen würde, folglich wäre solche Virulenz eine Ehre für diesen Blog! Dieser möglichen, selbstgerechten Position will ich begegnen mit dem Versuch einer Reflektion über den Anlaß dieser Kritiker. Könnte es sein, so meine Überlegung, daß jene „Empörten“ überhaupt nicht wissen, worum es den Kritikern ging – weil sie dies auch nicht wissen wollen? Könnte es sein, daß das Motiv jener „Empörten“, die andere wegen ihrer nüchternen, sachlichen Kritik angreifen und beschmutzen, nicht etwa ihr Mangel an Wissen ist, sondern ein Mangel an Bereitschaft zur Reflektion? Soll etwa die Annahme, hier werde zwischen bestimmten Personen lediglich eine Fehde ausgetragen, nur dem Zweck dienen, sich billig von der Herausforderung zu entlasten, Geschriebenes erst zu lesen? Erst richtig und vollständig zu lesen? Wie einfach ist es stattdessen, den Überbringer der schlechten Nachricht anzuklagen!

Über einen von einigen Kritikern erhobenen Vorwurf habe ich wirklich immer wieder staunen müssen: Dieser Blog bewirke eine Spaltung innerhalb der deutschen Schulkritik. Seltsamer Vorwurf! Wer – auch auf diesem Blog! – die Vorgeschichte rund um die GHEC gelesen hat, wird einen solchen Vorwurf gewiß nicht aufrechterhalten können! Mir wäre nicht in den Sinn gekommen, den GHEC-Veranstaltern diese Spaltungstendenzen vorzuwerfen, obwohl gerade sie einen Keil geschlagen haben zwischen denen, die ihnen und ihrer „elternfreundlichen Linie“ genehm sind – und den anderen, die unerwünscht waren; unerwünscht womöglich auch deshalb, weil jene anderen, zu denen ich gehöre, allzu deutlich auf die realen Gefahren hingewiesen haben, die langfristig von dieser GHEC ausgingen und ausgehen. Was hat es also auf sich mit den Vorwürfen der „Spaltung“? Soll durch Vorwürfe vielleicht die Weigerung kaschiert werden, sich mit den Konsequenzen der GHEC oder mit den Positionen ihrer Kritiker auseinanderzusetzen? Soll wer sich weigert, unmöglichen und gefährlichen Parolen zu folgen und stattdessen für einen radikalen und konstruktiven Ansatz und Weg engagiert, angeprangert werden: als Spalter? als Träumer? als den schrecklichen Realitäten des deutschen Schulzwangs abgehobener Utopist? als bloßer Theoretiker? Auf derartige Einwürfe will ich lediglich, auch wiederum auf Grund meiner Erfahrungen, erwidern: Weder durch solche Empörung oder durch Vorwürfe noch durch ideologische oder religiöse Parolen wird sich der widersinnige, tragische und allenthalben beklagte Schulanwesenheitszwang überwinden lassen... Nein, statt Luftblasen und unhaltbarer Versprechungen sind hierfür klare Erkenntnisse notwendig: Wissen; klares Wissen!


Ein anderer Vorwurf, der gegen diesen Blog und seine Autorinnen und Autoren erhoben wurde, veranlaßt mich hingegen zu einer Stellungnahme. Diese Erörterungen seien abgehoben, zu theoretisch, zu weit entfernt von der Wirklichkeit, mit welcher Mütter und Väter konfrontiert seien... Zunächst: Eine der von mir bewunderten Persönlichkeiten sagte mir einmal, es gebe nichts praktischeres als eine gute Theorie. Theorie, vom griechischen Wortursprung her das Beschauen, scheint mir kein beleidigender Vorwurf! Ich möchte versuchen, die Relevanz der Theorie an einem Beispiel darzustellen, welches – wie zumeist herangezogene Beispiele! – nie so exakt trifft, aber hoffentlich das Gemeinte andeutet.


Ich kann durchaus verstehen, daß Menschen, die an einer – beispielsweise viralen – Erkrankung leiden, alles unternehmen, um diese Krankheit zu besiegen. In unserer Zivilisation hat dieses Verfahren durchaus Tradition, sollte seit der Suche nach einem Zusammenhang zwischen Krankheit und ihren möglichen mikrobiellen oder viralen Ursachen das „Böse“ bekämpft werden. Würde nun eine Mutter oder ein Vater sich angesichts einer Krankheit ihres/seines Nachwuchses weigern, etwa Antibiotika zu verabreichen, sie oder er könnte eines grob fahrlässigen Verhaltens bezichtigt werden. Stimmt nun der Vorwurf, wonach die Person, die den Kampf, etwa mit Antibiotika, ablehnt,  sich nicht zivilisationsgemäß verhält und sich außerhalb des Normalen, des scheinbar so Selbstverständlichen positioniert? Gewiß gibt es – empirisch betrachtet – Gründe, diese Abnormalität anzuprangern.


Aber: Was Forscher herausgefunden haben, stellt diese Normalität in Frage: Die Mikroben entwickeln sich entsprechend den Erfahrungen, die sie im Kampf gegen diese „erleiden“ müssen. Die Erkenntnis der wahrlich folgenreichen Resistenz der Mikrobenwelt auf die gegen sie eingesetzten Antibiotika hat immerhin zu einem ersten Umdenken geführt: Inzwischen kann die Wirkung von Antibiotika als problematisch, vielleicht sogar als völlig kontraproduktiv betrachtet werden. Was ergibt sich daraus? Nur eine spürbare Reduzierung ihres Einsatzes? Nein, hier muß eine neue Gesundheitspflege andere Wege als die konventionelle zivilisatorische Medizin beschreiten, Wege die statt auf Kampf und Sieg auf einem guten Gleichgewicht des Organismus beruhen, insbesondere auf einer Stärkung der natürlichen Abwehrkräfte und einer Potenzierung der Lebensdynamik eines jeden Menschen.


Wo ist jetzt der Zusammenhang mit der Fragestellung „GHEC-Kritik“? Jene, die womöglich für sich beanspruchen, in der konkreten Situation zu sein, daß ihre Töchter oder Söhne keine Schule besuchen wollten, rufen nach konkreten Antworten. Das von manchen als der geeignete Ersatz zur Schule dargestellte „homeschooling“ scheint vielen das  Anzustrebende. Was jene nun als „konkret“ und „praktisch“ darstellen, ist und bleibt in mehrfacher Hinsicht eine Sackgasse – die ihnen spätestens vor und von den deutschen Gerichten erneut bescheinigt wird! Im übrigen aus gutem Grunde... Wer sich also nicht auf den konkreten Alltag eines Kampfes gegen die (Schul-)Behörden beruft, wird vielleicht die Chance anderer und origineller Wege erkennen, die auch noch weitaus mehr dem Leben und dem Menschen entspringen und entsprechen, als das künstliche Gebilde „homeschooling“... Ich gebe zu: Oftmals könnte der an der konkreten Front gegen den gewaltigen Staat und seine Behörden geführte Kampf dazu verführen, die Theoretiker ob ihrer Abgehobenheit vom angeblichen Alltag zu kritisieren. Leider, so mußte ich bisher feststellen, bewirkt dieser Kampf leider kaum anderes als Antibiotika: Dem kurzfristigen scheinbaren Erfolg folgt alsbald die Ernüchterung, die Beschulungsideologie habe neue „Mutationen“ erfahren und komme nun in neuer Gestalt tiefer und gefährlicher verankert daher. (Selbst wenn der Staat bereit wäre, „homeschooling“ als Ersatz zur Schule anzuerkennen und zuzulassen, würde es sich selbstverständlich um nichts anderes als eine systemimmanente Mutation handeln: eben um eine Schule!)


Wollen wir solch vorhersehbar kontraproduktiven Entwicklungen entgegenwirken, bleibt uns nichts anderes übrig, als über die Praxis, über den Alltag, über die Wirklichkeit hinaus anderes zu konzipieren. Etwa sich für das Selbstverständnis einsetzen, daß jeder Mensch selbstverständlich frei sich bilden kann – und will. Weshalb sollte diese Chance zu theoretisch sein? Doch wem diese Gratwanderung zu theoretisch erscheint, dem wird  wahrscheinlich nichts anderes verbleiben, als – gewollt oder nicht; kurz- oder langfristig! – sich normenkonform zu verhalten: beispielsweise innerhalb der Beschulungsideologie!


                                                                      * * *

Es könnte sein, daß diese unheimliche „Conference“ ihr Gutes hatte, indem sie vielleicht eine klare Unterscheidung ermöglichen wird: Auf der einen Seite mag es jene geben, die – allzu pauschal dargestellt! – aus einem sozusagen pathologischen Bedürfnis nach „Massen-Identifikation“ sich mit anderen verbünden und irgendwie agitieren und polemisieren müssen/wollen. Auf der anderen Seite könnten jene angeführt werden, denen es auf der Grundlage ethischer Grundsätze um das Eigentliche und Wesentliche geht, nämlich um das Überwinden des deutschen Schulanwesenheitszwangs. Nun, just diese Menschen, die aus einem sachlich begründeten Anliegen und Ansinnen heraus endlich wieder wirklich in der Sache selbst aktiv sein und sich kreativ einbringen wollen, sollten dazu ermuntert werden, auf der Grundlage der triftigen und richtigen Fragen entsprechend konstruktive Schritte zu finden und auch tatsächlich, tatkräftig zu gehen. Hierbei sollten diese Menschen nicht glauben, daß sie alleine und im Stich gelassen seien: Immer mehr Menschen erkennen in der Freiheit der Person, sich zu bilden, eine zentrale ethische Frage, ein lebenswichtiges, ja überlebenswichtiges Ansinnen.


Setzt dieses innovative Abenteuer des Lebens und das Ermöglichen des Prospektiven eine bestimmte Bereitschaft voraus? Ja: den Ausbruch aus dem „billigen“, vorurteilsvollen Verurteilen oder aus allerlei Unterstellungen; und den Ausbruch aus der Illusion, die in Bewegung gesetzten, gehetzten Massen oder gar die Massenmedien könnten etwas bewirken; einzig und allein, so glaube ich, beginnt meine Bereitschaft, mich für eine Befreiung und eine Freiheit der Bildung einzusetzen, mit dem Wissen, das auch durch wirkliches Lesen jedem Menschen offen steht.


Daher möchte ich, nachdem die möglichen GHEC-bedingten Wunden und Enttäuschungen überwunden wurden, jenen, die auf der Gratwanderung zum Grundrecht, frei sich zu bilden, mit ihren ebenso lebendigen wie originellen Ideen zusammenwirken und Weggefährte sein möchten, nur freudig zurufen: herzlich willkommen, nur zu! Hierzu könnte, so meine Hoffnung, diese Plattform wie eine Brücke sein, welche vom Ufer des obsoleten Schulanwesenheitszwangs (und von der angeblichen Freiheit zu einer familiären Erziehung und Bildung!) hinüberführt zum Ufer der Selbstbestimmtheit, Würde und Kompetenz des Menschen...


Bertrand Stern

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